Pensionskassengeld: 10 Merkpunkte zu Vorbezügen

16.06.2021

Schon seit über 20 Jahren gibt es in der Schweiz ein ausgesprochen beliebtes Fördermittel für Wohnträume: den Vorbezug oder die Verpfändung von Guthaben der Pensionskasse (PK). Andere Länder haben ihre populären Bausparinstrumente. Die Schweiz deckt dasselbe mit dieser Form der Wohneigentumsförderung ab. Erstaunlich dabei: Trotz strengerer Vorschriften greifen nach wie vor viele Schweizer zum PK-Geld.

Jürg Zulliger

Der Moment für den Erwerb von Wohneigentum scheint immer noch günstig: Die tiefen Zinsen ermöglichen höchst attraktive Finanzierungskonditionen. Die rege Bautätigkeit und ein florierender Handel mit Liegenschaften schaffen attraktive Angebote auf dem Markt. Wenn da bloss nicht die hohen Preise wären: Für Normalverdiener ist es extrem schwierig, sich an einer guten Lage Wohneigentum zu leisten. Schweizer Ökonomen haben genauer nachgerechnet: Aktuell müssen Mieter rund 28 bis 30 Jahresmieten aufbringen, um die von ihnen bewohnte oder eine ähnliche Wohnung kaufen zu können. Auch das Verhältnis von durchschnittlichen Einkommen und mittleren Kaufpreisen hat sich tendenziell verschlechtert.

Strenge Regeln beim PK-Bezug

Kommt dazu, dass heute für den Erwerb von Wohneigentum strenge Auflagen gelten. Die Banken finanzieren höchstens 80 Prozent, und jeder Schuldner muss aufgrund seiner Finanzen und seines Lohnes nachweisen, dass eine Hypothek finanziell gut tragbar ist. Kein Wunder, dass viele Leute nach wie vor auf eine «Finanzspritze» aus der Pensionskasse setzen. Die Grundlagen dazu sind im Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) und in der entsprechenden Verordnung des Bundes geregelt (Verordnung über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge
WEFV).
«Dieses Instrument ist grundsätzlich sehr populär», sagt Christoph Enzler vom Bundesamt für Wohnungswesen BWO. Gemäss Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung summieren sich die PK-Bezüge zwecks Wohneigentum auf rund 1,7 bis 1,8 Milliarden Franken pro Jahr. Während diese Bezüge um die Jahre 2007 und 2008 deutlich höher lagen, hat sich das Volumen seit 2013 auf tieferem Niveau stabilisiert. «Gründe für den Rückgang sind sicher die hohen Preise, aber auch die strengeren Auflagen für PK-Bezüge», erläutert Christoph Enzler. Während früher unter Umständen der ganze Eigenkapitalanteil (20 Prozent) mit PK-Geld abgedeckt werden konnte, muss seit 2012 mehr «echtes» Eigenkapital eingebracht werden. Das heisst: Wer Wohneigentum erwerben will, muss mindestens 10 Prozent mit eigenen Guthaben (Spargeld, Wertschriften, Mittel Säule 3a etc.) finanzieren. Weitere 10 Prozent dürfen als Vorbezug von PK-Geld eingebracht werden.

PK-Vorbezug ist nach wie vor beliebt

Der Zürcher Vorsorge- und Finanzfachmann Florian Schubiger vom Beratungsunternehmen Vermögenspartner verfolgt das Thema sehr aufmerksam. Seine aktuelle Einschätzung: «Diese Finanzierungshilfe ist ohne Zweifel aus verschiedenen Gründen immer noch sehr beliebt.» Im heutigen Umfeld falle die Überlegung ins Gewicht, dass viele Schweizerinnen und Schweizer mit künftig sinkenden PK-Renten rechnen. Generell sind heute die Vorbehalte grösser, ob die Pensionskassen die Guthaben zinstragend und sicher anlegen können oder nicht. «So wird sich manche berufstätige Person sagen, mit einem PK-Bezug für Wohneigentum tätige ich eine vernünftige Investition in Liegenschaften», so Florian Schubiger.
Die Statistik zeigt weiter, dass in viel geringerem Umfang Geld zurückbezahlt als bezogen wird. Die Rückzahlungen sind zwar etwas gestiegen. Doch nach wie vor liegen die jährlichen Rückzahlungen rund drei bis vier Mal tiefer als die Bezüge von PK-Geld. Die «Neue Zürcher Zeitung» titelte dazu neulich: «Gefährliche Plünderung der Pensionskasse.» Auch eine Stichprobe bei einigen grossen Vorsorgeeinrichtungen bestätigt diesen Trend. Iwan Lanz, Leiter Vorsorge bei der Pensionskasse des Bundes Publica, hält dazu fest: «Die Vorbezüge sind seit vier Jahren stabil.» Weiter falle auf, dass rund vier Mal mehr Geld bezogen als zurückbezahlt werde. Die Publica hält es so, dass die Versicherten auf die finanziellen Konsequenzen aufmerksam gemacht werden. Auf dem entsprechenden Antragformular heisst es: «Der Vorbezug führt zu einer Reduktion der Austritts- und Vorsorgeleistungen.» Kommt dazu, dass die versicherten Personen einen neuen Vorsorgeausweis zugestellt bekommen. Darauf ist klar ersichtlich, welche Leistungen die Vorsorgeeinrichtung nach dem PK-Bezug erbringen würde.

Wohneigentum: Die Vorsorge planen

Heute ist auch die Vorsorge wichtig, sowohl in jungen Jahren als auch im Hinblick auf die Pensionierung. Wer PK-Geld bezieht, riskiert schlechtere Leistungen seitens seiner PK, da ja jeder Bezug Lücken zur Folge hat. Je nach PK und Reglement sind die Folgen unterschiedlich:

  • Nicht immer, aber in einigen Fällen würden die PK-Leistungen im Fall von Invalidität oder Tod schlechter ausfallen. Gerade Familien mit Kindern sollten diese Lücke durch eine zusätzliche private Versicherung schliessen.
  • In jedem Fall schmälern PK-Bezüge die Altersvorsorge (später tiefere BVG-Altersrenten).

«Viele Leute sind sich nicht im Klaren darüber, wie teuer die Einbusse bei der Vorsorge für das Alter zu stehen kommt», sagt Experte Florian Schubiger von Vermögenspartner. Denn de facto fehlt ja nicht nur das Kapital, es fehlen ja auch Zinserträge. Ein Beispiel: Wer im Alter 35 z. Bsp. einen hohen PK-Bezug von 250’000 Franken tätigt, sollte das Geld später wieder zurückzahlen, um auf eine volle Altersrente seiner Pensionskasse zu kommen. Da über eine lange Zeit auch die Zinserträge geringer ausfallen (als ohne Bezug), wird sonst die spätere Altersrente deutlich reduziert. «Wann immer möglich, sollte man daher die Vorbezüge zurückbezahlen», empfiehlt Florian Schubiger. Ausserdem erinnert er daran, dass ja nicht nur PK-Geld, sondern auch Mittel der 3. Säule verwendet werden dürfen. «Wann immer möglich sollte man zuerst Geld aus der dritten Säule für Wohneigentum einsetzen», so der Experte.

Folgen für Altersrenten

Solche Vorsorgefragen sind gerade heute sehr aktuell. Immerhin gehen viele BVG-Fachleute davon aus, dass die Altersrenten in der Schweiz künftig noch weiter sinken könnten. Parallel dazu sind viele Banken dazu übergegangen, die finanzielle Tragbarkeit von Hauskrediten im Alter 60+ oder 65+ viel kritischer zu beleuchten. Dabei darf man sich keinen Illusionen hingeben, wie Florian Schubiger zu bedenken gibt: Denn wenn im Alter 65 die Einnahmeseite in keinem Verhältnis zum Wert des Eigenheimes steht, könnte die Bank Massnahmen ergreifen oder unter Umständen gar die Hypothek kündigen. Wer zum Beispiel die Hälfte seines Alterskapitals in der Pensionskasse bezogen hat und ab Alter 65 eine normale AHV-Rente bezieht, kommt damit vielleicht auf jährliche Einkünfte von 50’000 oder 60’000 Franken. «Zumindest nach den heutigen Standards für Hypotheken», so rechnet Florian Schubiger vor, «reicht dies nicht, um z. Bsp. eine Immobilie im Wert von einer Million Franken zu finanzieren.»

Vorbezug Pensionskasse: Die 10 wichtigsten Punkte

  • Gesetzlich zulässig ist heute die Verwendung von Geldern der zweiten Säule für selbst genutztes Wohneigentum: Kauf und Bau, Amortisation von Hypotheken, Renovationen und wertvermehrende Investitionen. Auch der Erwerb von Anteilscheinen einer Genossenschaft ist grundsätzlich erlaubt.
  • Es besteht keine allgemeine Rückzahlungspflicht. Nur in bestimmten Fällen, etwa beim Verkauf des Objekts, muss man die Bezüge aus der Pensionskasse zwingend zurückerstatten. Gleiches gilt, wenn die Immobilie gar nicht selbst bewohnt wird.
  • Mit dem Bezug werden Steuern fällig, die nicht mit dem Vorsorgegeld bezahlt werden dürfen.
  • Bezüge sind alle fünf Jahre möglich. Mindestbetrag: 20 000 Franken.
  • Vorsicht: Eine PK hat bis zu sechs Monate Zeit für die Auszahlung! Unterzeichnen Sie also keinen Kaufvertrag, ohne den ganzen Ablauf mit Ihrer Bank, dem Verkäufer und Ihrer PK genau zu klären.
  • Die meisten Pensionskassen haben entsprechende Gesuchformulare und Merkblätter. Am besten erkundigen Sie sich im Voraus, welche Fristen bis zur Auszahlung gelten, welche Unterlagen Sie einreichen müssen, welche Vorsorgelücke entsteht et cetera. Die PK kann Ihnen auch aufzeigen, was es für Rentenpläne oder Sparmöglichkeiten gibt – um allfällige Lücken zu schliessen.
  • Solange vorbezogene Gelder nicht zurückerstattet wurden, sind spätere Einkäufe in die Pensionskasse (die steuerlich abziehbar sind) nicht mehr erlaubt. Schon allein deswegen lohnt sich eine planmässige Rückführung der Gelder.
  • Ein PK-Vorbezug ist von einiger Tragweite. Bei Ehepaaren braucht es deshalb die schriftliche Einwilligung des Ehepartners (oder des eingetragenen Partners bei eingetragenen Partnerschaften).
  • Bis Alter 50 darf das gesamte Vorsorgekapital in der zweiten Säule für die Wohneigentumsförderung verwendet werden. Ab Alter 50 ist die Höhe des WEF-Bezugs auf den höheren der beiden folgenden Beträge beschränkt: Das Sparkapital mit Alter 50 oder die Hälfte des zum Zeitpunkt des Bezugs vorhandenen Sparkapitals.
  • Das Gesetz sieht als Alternative zum Kapitalbezug die Variante Verpfändung vor. Damit fliesst kein Geld aus der Vorsorge ab. Ein Teil wird stattdessen gegenüber der Bank verpfändet (als Sicherheit für ein höheres Darlehen).

Verpfändung von PK-Geld

Die Variante einer Verpfändung verspricht zwei wesentliche Vorzüge: Erstens bleiben die Leistungen der PK durch die Verpfändung ungeschmälert. Zweitens bietet auch die Verpfändung eine finanzielle Erleichterung. Denn aufgrund der Verpfändung werden die meisten Banken eine höhere Hypothek gewähren, also zum Beispiel 90 Prozent des Eigenheims über die Hypothek decken.
Wenn in der Praxis die Variante Verpfändung nicht so oft zum Zug kommt, wie Experten es für ratsam halten, dürfte dies verschiedene Gründe haben. Personen, die ganz grundsätzlich auf eine Finanzierungshilfe angewiesen sind, kommen oft mit ihrem verfügbaren Einkommen an ein Limit. Die Variante einer Verpfändung von PK-Geld bei entsprechend höherer Hypothek scheitert so manchmal an der finanziellen Tragbarkeit.
Fazit: Als Finanzspritze für Wohnträume sind PK-Bezüge eine sehr willkommene und sinnvolle Hilfe. Letztlich braucht es aber eine gute Portion Disziplin und eine gründliche Planung der Vorsorge, um das Eigenheim auf Dauer ohne finanzielle Sorgen geniessen zu können.