Nesthocker im Hotel Mama

19.04.2021

In der Schweiz gibt es immer mehr junge Erwachsene, die im Elternhaus wohnen bleiben: Die Nesthocker. Hier finden Sie Infos über Gründe sowie Tipps über Kostgeld, Zusammenleben und eine Erziehung, die zu mehr Selbstständigkeit führt.

Noch in den 1970er Jahren war von den 18-Jährigen fast ein Drittel von zu Hause ausgezogen, während heute die allermeisten im Elternhaushalt wohnen. Aber auch von den 24-Jährigen leben heute laut Bundesamt für Statistik etwas mehr als die Hälfte bei den Eltern, doppelt so viele wie 1970. Grund dafür ist ein Wandel in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. War diese früher von Autorität geprägt, gestaltet sie sich heute liberal. Eine räumliche Trennung gehört deshalb für viele nicht mehr zwingend zum Ablösungsprozess.

Wieso wird man zum Nesthocker?

Gründe, weshalb Nesthocker nicht aus dem Hotel Mama ausziehen, gibt es viele. Die üblichsten:

° Ausbildung und Studium sind teuer und dauern länger als früher, schlechte Berufsaussichten erfordern oft Umschulungen. Zu Hause wohnen ist da günstiger. Zudem hat man, wenn man nicht selber putzt, kocht usw., mehr Zeit und kann sich besser auf Ausbildung, Studium usw. konzentrieren.

° Befristete Arbeitsverträge halten junge Menschen ebenfalls ab, eine eigene Wohnung zu suchen.

° Eine eigene Wohnung zu mieten ist teuer. Wenn man als junger Erwachsener bei den Eltern wohnt, kann man das gesparte Geld auf die hohe Kante legen oder anderweitig einsetzen: Z.B. für Handys, Fernseher, Tablets, Markenkleidung, Auto und Reisen ins Ausland.

° Es gibt auch sogenannte Boomerang-Kids. Sie ziehen für Lehre, Job oder Liebesglück zwar aus. Aber wenn das eine oder andere dann doch nicht klappt, kehren sie immer wieder als Nesthocker ins Hotel Mama zurück.

Bleiben Nesthocker unselbstständig?

Fachleute sind sich uneins, wie sich Nesthocker längerfristig entwickeln. Eine Langzeitstudie hat aber offenbar gezeigt, dass es Nesthockern eher schwer fällt, selbstständig zu werden. Wer in einer behüteten und bequemen Wohnsituation lebt, muss sich nicht den Anforderungen des realen Lebens stellen. Das kann ein Nachteil sein, weil man später - wenn man alleine lebt - Vollzeitjob und Haushaltsführung unter einen Hut bringen muss. Durch das lange Zuhause-Wohnen wird das Erwachsenwerden also unter Umständen hinausgeschoben. Hier kommt es allerdings darauf an, wie selbstständig man erzogen wurde und wieviel Verantwortung man als Jugendlicher übernehmen musste.

Wie hilft man Kindern, rechtzeitig flügge zu werden?

Zuneigung und Geborgenheit sind wichtig. Aber ebenso wichtig ist, dass man Kinder frühzeitig zur Selbstständigkeit erzieht, ihnen beibringt, was Verantwortung bedeutet und dass man sich gegenseitig respektiert. Im Klartext bedeutet das: Übertreiben Sie als Eltern die Fürsorge nicht und spielen Sie nicht die Haussklaven, sonst bleiben ihre Kinder unselbstständig oder haben zumindest keinen Anreiz, auszuziehen. So entstehen Nesthocker. Halten Sie die Kids schon früh an, im Haushalt mitzuhelfen und wenigstens in den eigenen Sachen Ordnung zu halten. Bringen Sie Ihrem Kind bei, mit dem Taschengeld auszukommen und stocken sie – wenn es nicht reicht – nicht einfach auf. Lassen Sie Ihr Kind die eingebrockte Suppe möglichst selbst auslöffeln, aber lassen Sie es beim Lösen schwieriger Probleme nicht allein. Zeigen Sie einem Teenie, wie man einfache Mahlzeiten zubereitet und führen Sie ihn auch in die Geheimnisse der Waschküche ein. Lernen Sie, sich zurückzunehmen, indem Sie sich z.B. nicht in alle Angelegenheiten des Teenagers einmischen, ihn seine Freunde selbst aussuchen und die Freizeit selber gestalten lassen. Hauptsache, Ihr Kind merkt, dass es nicht allein ist und sich im Ernstfall auf Sie verlassen kann.

Nesthocker im Hotel Mama
Wer keine weltfremden Nesthocker heranzüchten möchte, tut gut daran, Jugendliche auch in die Geheimnisse der Waschküche einzuweihen.

Kann man von Nesthockern Kostgeld verlangen?

Eltern haben oft Hemmungen, von Nesthockern ein Kostgeld zu verlangen und vergessen dabei ganz, dass die klassische Eltern-Kind-Beziehung zur Erwachsenen-WG werden muss. Sonst funktioniert ein Zusammenleben nicht. Eltern sollten sich mit ihren erwachsenen Kindern zusammensetzen und die Bedingungen und Regeln des Zusammenlebens diskutieren. Dazu gehört auch ein finanzieller Beitrag an die Unkosten. Junge Erwachsene müssen lernen, was das Leben kostet, wenn sie später auf eigenen Füssen stehen. Rechtlich gesehen endet die elterliche Unterstützungspflicht übrigens, wenn Junge mit ihrer Erstausbildung fertig sind. Bleiben Kinder länger zu Hause wohnen, haben die Eltern Recht auf einen angemessenen Beitrag für Kost, Unterkunft und weitere Dienstleistungen wie waschen, bügeln, putzen usw. Tipps: Halten Sie Vereinbarungen schriftlich fest. Und: Fachleute empfehlen, selbst dann Kostgeld zu verlangen, wenn Eltern nicht darauf angewiesen sind.

Formen des Zusammenlebens im Hotel Mama

Für das Zusammenleben von Eltern und erwachsenen Kindern gibt es unterschiedliche Formen. Wenn man sich für eine Wohngemeinschaft entscheidet, zieht jedes Familienmitglied „sein Ding“ durch, hält sich aber an einige gemeinsame Regeln. Will man weiterhin als Familie funktionieren, kümmern sich die Eltern um die Grundbedürfnisse. So oder so aber muss man das Miteinander in möglichst vielen Details regeln. Das fängt beim allfälligen Helfen im Haushalt an und hört bei der Frage nach der finanziellen Beteiligung an den Haushaltskosten noch lange nicht auf. Denn: Darf der Nesthocker z.B. Freunde oder Partner mit nach Hause bringen? Dürfen sie da auch essen und übernachten? Und was macht man noch gemeinsam als Familie (z.B. gemeinsames Nachtessen, Ferien usw.)? Wichtig ist allerdings, dass die Eltern auch Studium oder Lehre als vollwertigen Beruf anerkennen, dass sie dem jungen Erwachsenen generell vertrauen, ihm Verantwortung übertragen, sich nicht in alles einmischen und nicht ständig nörgeln. Denn nur mit einem gewissen Grad an Freiheit und Verantwortung kann sich Selbstständigkeit entwickeln. Dass der respektvolle Umgang gegenseitig sein muss, versteht sich von selbst.