Was ist mein Eigenheim wert?

10.06.2021

Die Preise für Immobilien kannten an guten Lagen jüngst fast nur eine Richtung: deutlich nach oben. In etlichen Boomjahren nach 2003 und 2004 verzeichneten zum Beispiel Eigentumswohnungen einen jährlichen Wertzuwachs von vier bis fünf Prozent. Aber worauf achten Experten, wenn sie den Wert einer Liegenschaft schätzen?

Jürg Zulliger

Wenn Haus- oder Wohneigentümer ihre Immobilie verkaufen wollen, müssen sie den Wert des Objekts zuverlässig schätzen können. Nehmen wir als Beispiel das Ehepaar Vera und Markus M. (alle Namen geändert): Sie sind Eigentümer eines hübschen Einfamilienhauses irgendwo im Mittelland. Das Objekt liegt ruhig im Grünen, ist aber nicht sonderlich zentral gelegen. Zuerst starteten sie mit einem Verkaufspreis von 750’000 Franken, mussten dann aber nach mehr als sechs Monaten vergeblichen Bemühungen zurückbuchstabieren. Letztlich bekamen sie nicht mehr als 600’000 Franken.

Im Fall der glücklichen Erbengemeinschaft W. in Basel war es gerade umgekehrt: Der Steuerwert ihres Mehrfamilienhauses war mit 600’000 Franken angegeben, ein befreundeter Architekt und Schätzer gab 900’000 Franken als Verkehrswert an. Im Rahmen einer breiten öffentlichen Ausschreibung wurde dann aber ein Verkaufserlös von 1,6 Millionen Franken erzielt! Eine erste Schlussfolgerung: Expertenschätzungen nach anerkannten Standards, Steuerwert oder ein allfälliger maximaler Verkaufspreis können also recht weit auseinander liegen. Die konkrete Zielsetzung der Schätzung, aber auch die besonderen Eigenschaften einer Immobilie spielen eine entscheidende Rolle.

Schätzung bleibt Schätzung

Die Bewertung von Immobilien ist nun einmal keine exakte Naturwissenschaft. Der «richtige» oder aktuell massgebliche Wert lässt sich auch nicht einfach wie bei Aktien aus einer Kursliste ablesen. Kommt hinzu, dass es in keinem Fall zwei völlig identische Liegenschaften gibt. Die spezifischen Eigenschaften der Lage und des baulichen Zustands werden vielleicht je nach Optik etwas unterschiedlich eingeschätzt. Eine Schätzung bleibt eine Schätzung und ist immer mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet.
Natürlich spielt auch der Zweck der Bewertung eine Rolle: Der Schätzer einer Gebäudeversicherung interessiert sich rein dafür, was im Schadensfall ein Wiederaufbau des gleichen Gebäudes kosten würde. Bei einer einvernehmlichen Erbteilung im Kreis von Familien wird man andere Massstäbe anlegen als bei einem geschäftlichen Projekt, wo es letztlich um Kosten, Erträge und Rendite geht. Daher ist bei Schätzungsgutachten darauf zu achten, dass der Zweck und die Motivation der Schätzung transparent sind.
Bewertungen sind nicht allein bei Handänderungen (d.h. Verkauf) oder Erbteilungen zentral. Im Hypothekargeschäft ist die Bewertung durch die Bank zentral dafür, ob und in welchem Umfang ein Immobilienerwerb finanziert werden kann. Liegen die Gesamtkosten über dem internen Wert der Bank, muss der Kunde unter Umständen zusätzliches Eigenkapital einbringen können. Bei einer späteren Erhöhung einer Hypothek erfolgt grundsätzlich immer eine Neubewertung des Objekts. Bei bestehenden Finanzierungen sind die Banken verpflichtet, die Bewertungen der Objekte periodisch zu überprüfen und zu dokumentieren. Die Periodizität dieser Überprüfung ist abhängig von der Objektart. Solche Leitlinien und die Bewertungsprinzipien gelten unabhängig davon, wo der Kunde die Hypothek abschliesst (über eine Bankfiliale oder online).

Was bestimmt den Marktwert einer Liegenschaft?

Der Marktwert einer Liegenschaft hängt hauptsächlich von folgenden Objekteigenschaften ab: Als der Faktor mit dem grössten Gewicht gilt die Lage eines Gebäudes. Immobilien in peripheren, schlecht erschlossenen Regionen sind oft schon allein aufgrund ihres Standortes 40 bis 50 Prozent weniger wert als Vergleichsobjekte an sehr zentraler Lage. Weiter fallen die Grösse des Objekts (bei Wohnnutzungen die Anzahl Zimmer), Fläche bzw. Volumen, Baujahr, Standard und Qualität des Innenausbaus ins Gewicht. Um alle Aspekte richtig zu berücksichtigen, ist meist eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Objekt nötig. Während sich Standardobjekte wie Eigentumswohnungen in Agglomerationen oder gängige Reiheneinfamilienhäuser heute auch mit standardisierten Verfahren gut bewerten lassen, verlangen Spezial- oder Luxusobjekte oft eine eingehendere Beurteilung. Hinzu kommen noch weitere Aspekte wie ein allfälliger vernachlässigter Gebäudeunterhalt oder einschränkende Bestimmungen wie Vorkaufsrechte, Einschränkungen bei baulichen Veränderungen – solche Fakten kommen oft erst ans Licht, wenn man Einsicht in den Grundbuchauszug und die Bau- und Zonenordnung nimmt.

«Wert» oder «Preis»?

Höchst aktuell ist die Diskussion um die Begriffe «Wert» und «Preis». Nehmen wir als Beispiel Anlageimmobilien wie Wohn- oder Bürohäuser, wie sie von privaten oder institutionellen Investoren zu Anlagezwecken akquiriert und bewirtschaftet werden. Dabei kommt in der Regel das klassische Ertragswertverfahren oder die Discounted-Cash-Flow-Methode (DCF) zum Tragen. Die künftigen Mieterträge und die angenommenen Zinssätze sind wichtige Stellschrauben bei dieser Betrachtung. Im aktuellen Umfeld mit sehr tiefen Zinsen führt dies in diesem Modell zu höheren Bewertungen von Immobilien. Hinzu kommt, dass derzeit Investments in Grund und Boden von verschiedensten Investoren sehr gesucht sind. Entsprechend ist die Zahlungsbereitschaft sehr hoch.
Damit sind wir bei einer wichtigen Grundsatzfrage: Handelt es sich dabei bloss um Aufwertungen auf dem Papier, oder sind diese teils sehr hohen Werte nachhaltig? David Hersberger, Präsident der Schweizerischen Schätzungsexpertenkammer SEK, vertritt die Meinung, dass ein Gutachten eines Experten nicht unbedingt dem höchstmöglichen Angebot eines Interessenten auf dem aktuell ausgetrockneten Markt entsprechen müsse. «Handelt es sich dabei um Transaktionspreise in Einzelfällen, wäre dies nicht nachhaltig», lautet seine Begründung. Denn wenn dieser eine Interessent, der einen Spitzenpreis zahlt, aus irgendeinem Grund wegfällt, folgt das zweithöchste Angebot oft mit einem grösseren Abstand. Der Käufer und neue Eigentümer hat in diesem Kontext somit keine Gewähr dafür, erneut ein Angebot in dieser Grössenordnung zu bekommen. Es muss deshalb zwischen den Begriffen Wert und Preis unterschieden werden.
Für Privatpersonen, die sich in Bewertungsfragen beraten lassen wollen, gibt es verschiedene Anlaufstellen, z.Bsp. die finanzierende Bank, einen Branchenverband wie die Schätzungsexpertenkammer SEK/SVIT oder den Immobilienschätzerverband SIV. Für Qualität bürgt auch die Zertifizierung der Bewerter bzw. Experten (http://www.experts-certification.ch/)

Glossar: Unterschiedliche Immobilienwerte

 

  • Verkehrswert: Der Verkehrswert einer Liegenschaft entspricht dem mittleren Wert, zu dem eine Liegenschaft gleicher oder ähnlicher Grösse, Lage und Beschaffenheit in der betreffenden Gegend verkauft werden kann. Mit Verkehrs- und Marktwert ist in der Regel dasselbe gemeint.
  • Hedonische Methode: Die hedonische Methode stützt sich auf tatsächlich bezahlte Marktpreise vergleichbarer Wohnungen oder Häuser ab. Mit Hilfe von statistischen Methoden wird eine Liegenschaft quasi in ihre einzelnen Komponenten «zerlegt» (Lage, Grösse, Anzahl Zimmer etc.) und entsprechend geschätzt. Diese Modelle werden laufend mit neuen Daten gespeist und bilden daher aktuelle Wertveränderungen gut ab.
  • Realwert: Entspricht etwas vereinfacht gesagt dem Neuwert des gleichen Hauses (abzüglich Altersentwertung) und dem Landwert.
  • Ertragswertmethode: Die Ertragswertmethode bewertet das Objekt aus Sicht einer Investition, deren Wert auf dem erzielbaren Mietertrag und der erwarteten, risiko-adjustierte Rendite basiert.
  • Steuerwert: Wert, den die Behörden aufgrund einer schematischen Formel oder einer Schätzung für die Liegenschafts- und Vermögenssteuern festlegen.
  • Belehnungswert: Derjenige Anteil des Marktwertes, bis zu dem ein Kreditgeber die Immobilie hypothekarisch belehnt. Bei den Banken kommt dabei das Niederstwertprinzip zur Anwendung: Wenn bei einer Finanzierung Kaufpreis und Bankschätzung (hedonisch bewertet) auseinanderliegen, ist der tiefere Wert massgeblich für die Finanzierung.
  • Gebäudeversicherungswert: Von der Versicherung geschätzter Wert, den sie bei kompletter Zerstörung zahlen würde (ohne Land).